Samstag, 28. Oktober 2006

An das Nichts

Erhabne Mutter unsrer Erde,
O Nichts, du Urquell alles Lichts,
Dir tönt mein Lied. Gott sprach: Es werde!
Da ward die ganze Welt aus Nichts.

Versprechungen der Großwesire,
Aprillengunst des Hofgezüchts,
Prälatendemut, Mädchenschwüre,
Baut nimmer drauf! Ihr baut auf – Nichts.

Macht, Herrschaft über Meer und Länder,
Pomp, Herrlichkeit des Bösewichts,
Stern, Ludwigskreuz und Ordensbänder,
Was sind sie einem Weisen? – Nichts.

Ha, was stolzierst denn du auf Ahnen,
O hochgeborner Taugenichts!
Du pflegst des Weidwerks, hegst Fasanen,
Und was verdankt dir Deutschland? – Nichts.

Selbst philosophische Systeme –
Kants Lieblingsjünger, Reinhold, spricht’s –
Von Plato bis auf Jakob Böhme,
Sie waren samt und sonders – Nichts.

Was füllt, wenn eine Schlacht verloren,
Den Auszug manches Hofberichts?
Was das Gehirn der Senatoren
In mancher deutschen Reichsstadt? – Nichts.

O wie so schön zum Ringelkragen
Steht dieser Ernst des Amtsgesichts!
Jetzt schließt die Session. – Der Wagen
Rollt vor. – Was ward beschlossen? – Nichts.

Was ist der Inhalt oft, ihr Musen,
Des hochgepriesensten Gedichts?
Was schwellt des Modefräuleins Busen
Und der Poeten Börse? – Nichts.

Monarchen, Opfer der Chimäre
Des europä’schen Gleichgewichts,
Der Kern zahlloser Kriegsheer
ist hingeopfert, ach! um – Nichts.

Wohlan, dingt neue Legionen!
Einst fragt der Herr des Weltgerichts:
Warum erschlugt ihr Millionen?-
Was könnt ihr ihm erwidern? – Nichts.

Laß blutig rot Kometen flammen!
Verlisch, o Glanz des Sonnenlichts!
Du schöner Weltbau, stürz zusammen!
Auf Trümmern triumphiert das – Nichts. –

Was bin ich selbst? – Ein Kind der Erde,
Der Schatten eines Traumgesichts,
Der halbe Weg von Gott zum Werde,
Ein Engel heut, und morgen – Nichts.

Ich steig auf Felsen, ich erklimme
Gebirg im Strahl des Mondenlichts:
Wo find ich Ruh? – Ach! Eine Stimme
Ruft dumpf: Im Schoß des alten Nichts.


Johannes Daniel Falk
* 28. Oktober 1768 in Danzig; † 14. Februar 1826 in Weimar

Die Verse sind auch heute noch fast aktuell. Mehr über den Dichter steht bei Gutenberg.Spiegel.de und bei Wikipedia.
logo

Versblog

Lyrik Reime Sprüche

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Archiv

Oktober 2006
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
 
 2 
 3 
 4 
 6 
 8 
 9 
10
12
13
14
15
16
19
20
21
23
26
27
29
30
31
 
 
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

Wie mag er aussehen?
Wer hat zum Steuerbogenformular den Text erfunden? Ob...
immo de - 17. Nov, 19:19
Zwei Käfer auf der Mauer
Zwei Käfer auf der Mauer, die Amsel auf der Lauer, die...
immo de - 19. Sep, 09:08
Herbst
Draußen ist's kalt, es herbstelt halt. Das Jahr wird...
immo de - 19. Sep, 07:53
Augen in der Großstadt
Wenn du zur Arbeit gehst am frühen Morgen, wenn du...
immo de - 21. Dez, 11:01
Seine Hände blieben wie...
Seine Hände blieben wie blinde Vögel, die, um Sonne...
immo de - 4. Dez, 07:52
Schriftsteller
Es ist kein Autor so gering und klein, Der nicht dächt...
immo de - 29. Nov, 15:44
Bin einmal ein Narr gewesen
Bin einmal ein Narr gewesen, Hab geträumet, kurz doch...
immo de - 18. Nov, 09:07
Lampe und Spiegel
»Sie faule, verbummelte Schlampe,« Sagte der Spiegel...
immo de - 17. Nov, 14:24
Wintermorgen
Ein trüber Wintermorgen war's, Als wollt' es gar nicht...
immo de - 13. Nov, 08:05
Die Ordnung
Es hat der Blitz an' Esel derschlag'n, Da hat si' a...
immo de - 11. Nov, 08:17

Status

Online seit 7314 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 17. Nov, 19:19

Credits

powered by Antville powered by Helma


Creative Commons License

xml version of this page
xml version of this page (summary)

twoday.net AGB

Mit Bloglines abonnieren stats3991

aufgelesen
heiter
Schreibwerkstatt
so halt
traurig
zitiert
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren