Vorfrühling

Wie die Knospe hütend,
Daß sie nicht Blume werde,
Liegt's so dumpf und brütend
Über der drängenden Erde.

Wolkenmassen ballten
Sich der Sonne entgegen,
Doch durch tausend Spalten
Dringt der befruchtende Segen.

Glühnde Düfte ringeln
In die Höhe sich munter.
Flüchtig grüßend, züngeln
Streifende Lichter herunter.

Daß nun, still erfrischend
Eins zum andern sich finde,
Rühren, alles mischend,
Sich lebendige Winde.



Winter-Landschaft

Unendlich dehnt sie sich, die weiße Fläche,
bis auf den letzten Hauch von Leben leer;
die muntern Pulse stocken längst, die Bäche,
es regt sich selbst der kalte Wind nicht mehr.

Der Rabe dort, im Berg von Schnee und Eise,
erstarrt und hungrig, gräbt sich tief hinab,
und gräbt er nicht heraus den Bissen Speise,
so gräbt er, glaub' ich, sich hinein ins Grab.

Die Sonne, einmal noch durch Wolken blitzend,
wirft einen letzten Blick auf's öde Land,
doch, gähnend auf dem Thron des Lebens sitzend,
trotzt ihr der Tod im weißen Festgewand.


Christian Friedrich Hebbel


Geboren am 18.3.1813 in Wesselburen (Dithmarschen), gestorben am 13.12.1863 in Wien.

Das erste Gedicht passt so schön zur beginnenden Frühlingszeit, zumindest nach Kalender. Angesichts der aktuellen Wetterlage aber noch ein weiteres, das eher dem Blick aus dem Fenster gerecht wird.

Mehr über Hebbel gibt es bei Gutenberg.Spiegel.de zu lesen sowie bei Wikipedia.

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