Samstag, 20. Mai 2006

Gesellschaftsregeln

Bist du um sieben Uhr geladen,
So geh nicht etwa erst um neun.
Sieh: Pünktlichkeit kann keinem schaden,
Und's erste Stück kann's beste sein!

Gut ist's, der Hausfrau was zu schenken:
Ein Strauß, ein kleiner, freut sie sehr.
Ein großer – mußt du stets bedenken –
Geniert sie leicht und kostet mehr!

Sei mäßig, aber nie dich ziere!
Solch Zögern schafft der Hausfrau Pein.
Beim ersten Gang nimm gleich für viere:
Bedenk, es kann der letzte sein!

Der Weine Reinheit anzufechten
Erlaub dir nicht in fremdem Haus:
Lob alle und zumal die schlechten
Und trink die guten Sorten aus.

Die Damen gut zu unterhalten
Sei dein beständiges Bemühn:
Gelingt dir's nicht mit einer alten,
Ist eine junge vorzuziehn.

Auch Gutes läßt sich übertreiben.
Wenn's auch den Wirt freut, merke ja:
Such niemals allzulang zu bleiben –
Besonders, wenn kein Wein mehr da!

Vergiß das Trinken nicht beim Essen –
Es reut dich andern Tags, mein Sohn,
Hast du das Trinkgeld mal vergessen,
Der Schmerz erträgt sich leichter schon.

Fühlst du vorm Redenhalten Schrecken –
Kling dennoch, rat ich dir, ans Glas:
Im schlimmsten Falle bleibst du stecken –
Das macht oft mehr als Reden Spaß.

Oft tritt ne Stille ein, ne große,
Das sei zu ändern klug bestrebt:
Schnell ein Kompott auf Nachbars Hose –
Du sollst mal sehn, wie das belebt!

Bei Tisch den Hausherrn anzupumpen,
Dies, lieber Sohn, ist niemals »fair«.
Ein feiner Mann läßt sich nicht lumpen,
Ißt ruhig erst und pumpt nachher.

Wärst du auch mitten im Genießen
Und siehst: der Kaffee wird gebracht,
Ist das ein Zeichen, man will schließen –
Dann schnell dich über'n Sekt gemacht!

Beim Sekt begnüge dich zu naschen,
Willst du den Hausherrn recht erfreun.
Du trinkst schon viel, trinkst du zwei Flaschen;
Wer mehr trinkt – nehme Natron ein.

Den Nächsten – auch bei Tafel – lieben,
Ist, wie wir wissen, Christenpflicht.
Die Pflicht kann höchstens übertrieben –
Erlassen werden kann sie nicht.

Ward dir zur Nachbarin ne Tante,
So lausch voll Ehrfurcht, wenn sie spricht.
Wie anders bei nem Leutenante –
Da braucht es der Empfindung nicht.

Damit sie ihre Gunst dir schenken,
Sprich mit den Nachbarinnen viel.
Wer lieber schweigt, der mag bedenken:
Auch Händedrücken bringt ans Ziel.

Ist leer dein Glas, dann ohn Bedenken
Schenk wieder ein dir auf der Stell.
Scheint dir's nicht fein, schnell einzuschenken –
Schenk langsam ein und trinke schnell.

Schwer ist's, bei Tafel gut zu plaudern,
Gut zuzuhören, ist's noch mehr.
Wirf dich aufs letztre ohne Zaudern –
Es fördert auch beim Essen sehr.

Blieb nur ein Rest von einer Speise
Und schmeckte sie dir noch so gut –
So bitt nicht drum törichterweise:
Gleich nehmen – eh's ein andrer tut.

Will sich dein Nachbar mit dir streiten
Bei Tisch – so setz' dich nicht zur Wehr
Verdopple deine Höflichkeit:
's ist christlicher und ärgert mehr.

Kannst du als Redner nicht genügen,
Sprich dennoch, rat ich dir. Probier's!
Kommst du zurecht – hast du's Vergnügen.
Und bleibst du stecken – haben wir's.

Verbindlich zeig beim Präsentieren
Dem Nachbar stets das beste Stück:
Selbst höflich, wird er sich genieren,
Und du bekommst das Stück zurück!

Ein Unfall darf dich nicht erbosen –
Kaltblütigkeit ist Goldes wert.
Hast du den Rotwein umgestoßen:
Gleich Salz darauf! – (Und umgekehrt!)

Reichst du die Sauce, dann vor allen
Acht auf der Damen Kleider sehr.
Sieh: läßt du mal die Schüssel fallen –
Gibt es oft keine Sauce mehr.

Rauchst du, laß nicht an jedem Orte
Der Lust am Rauchen freien Lauf.
Steht wo z. B. eine Torte,
Empfiehlt sich's: du ißt die erst auf.


Georg Bötticher
Geboren am 20.5.1849 in Jena; gestorben am 15.1.1918 in Leipzig.

Mehr über den Dichter gibt es bei Gutenberg.Spiegel.de zu lesen oder auch bei Wikipedia.
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