Montag, 6. November 2006

Winterschlaf

Indem man sich zum Winter wendet,
Hat es der Dichter schwer,
Der Sommer ist geendet,
Und eine Blume wächst nicht mehr.

Was soll man da besingen?
Die meisten Requisiten sind vereist.
Man muß schon in die eigene Seele dringen
– Jedoch, da hapert's meist.

Man sitzt besorgt auf seinem Hintern.
Man sinnt und sitzt sich seine Hose durch,
– Da hilft das eben nichts, da muß man eben überwintern
Wie Frosch und Lurch.


Klabund
* 4. November 1890 in Crossen an der Oder als Alfred Henschke; † 14. August 1928 in Davos

Mehr über Klabund lesen Sie bei Wikipedia und Gutenberg.Spiegel.de.

In der Christnacht

Ein Bettelkind schleicht durch die Gassen -
Der Markt läßt seine Wunder seh'n:
Lichtbäumchen, Spielzeug, bunte Massen.
Das Kind blieb traumverloren steh'n.

Aufseufzt die Brust, die leidgepreßte,
Die Wimpern sinken tränenschwer.
Ein freudlos Kind am Weihnachtsfeste -
Ich weiß kein Leid, das tiefer wär'.

Im Prunksaal gleißt beim Kerzenscheine
Der Gaben köstliches Gemisch,
Und eine reichgeputzte Kleinde
Streicht gähnend um den Weihnachtstisch.

Das Schönste hat sie längst, das Beste,
Ihr Herz ist satt und wünscht nichts mehr.
Ein freudlos Kind am Weihnachtsfeste -
Ich weiß kein Leid, das tiefer wär'.

Doch gält's in Wahrheit zu entscheiden,
Wer des Erbarmens Preis verdient -
Ich spräch': Das ärmste von euch beiden
Bist du, du armes reiches Kind!



Ottokar Kernstock
* 25. Juli 1848 in Marburg an der Drau (Maribor), Untersteiermark (heute Slowenien); † 5. November 1928 auf dem Schloss Festenburg, Steiermark

erfahren Sie mehr über den Dichter bei Gutenberg.Spiegel.de und bei Wikipedia.

Freitag, 3. November 2006

Ein Winterabend

Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.

Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.

Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.


Georg Trakl
* 3. Februar 1887 in Salzburg, Österreich; † 3. November 1914 in Krakau, Polen

wie immer, es gibt mehr über den Autor bei Gutenberg.Spiegel.de und Wikipedia zu lesen.

Mittwoch, 1. November 2006

Die Nacht

Aus dem Walde tritt die Nacht,
Aus den Bäumen schleicht sie leise,
Schaut sich um in weitem Kreise,
Nun gib acht.

Alle Lichter dieser Welt,
Alle Blumen, alle Farben
Löscht sie aus und stiehlt die Garben
Weg vom Feld.

Alles nimmt sie, was nur hold,
Nimmt das Silber weg des Stroms,
Nimmt vom Kupferdach des Doms
Weg das Gold.

Ausgeplündert steht der Strauch,
Rücke näher, Seel an Seele;
O die Nacht, mir bangt, sie stehle
Dich mir auch.


Hermann von Gilm zu Rosenegg
* 1. November 1812 in Innsbruck; † 31. Mai 1864 in Linz

Lesen Sie mehr über den Dichter bei Wikipedia und bei Gutenberg.Spiegel.de.

Samstag, 28. Oktober 2006

An das Nichts

Erhabne Mutter unsrer Erde,
O Nichts, du Urquell alles Lichts,
Dir tönt mein Lied. Gott sprach: Es werde!
Da ward die ganze Welt aus Nichts.

Versprechungen der Großwesire,
Aprillengunst des Hofgezüchts,
Prälatendemut, Mädchenschwüre,
Baut nimmer drauf! Ihr baut auf – Nichts.

Macht, Herrschaft über Meer und Länder,
Pomp, Herrlichkeit des Bösewichts,
Stern, Ludwigskreuz und Ordensbänder,
Was sind sie einem Weisen? – Nichts.

Ha, was stolzierst denn du auf Ahnen,
O hochgeborner Taugenichts!
Du pflegst des Weidwerks, hegst Fasanen,
Und was verdankt dir Deutschland? – Nichts.

Selbst philosophische Systeme –
Kants Lieblingsjünger, Reinhold, spricht’s –
Von Plato bis auf Jakob Böhme,
Sie waren samt und sonders – Nichts.

Was füllt, wenn eine Schlacht verloren,
Den Auszug manches Hofberichts?
Was das Gehirn der Senatoren
In mancher deutschen Reichsstadt? – Nichts.

O wie so schön zum Ringelkragen
Steht dieser Ernst des Amtsgesichts!
Jetzt schließt die Session. – Der Wagen
Rollt vor. – Was ward beschlossen? – Nichts.

Was ist der Inhalt oft, ihr Musen,
Des hochgepriesensten Gedichts?
Was schwellt des Modefräuleins Busen
Und der Poeten Börse? – Nichts.

Monarchen, Opfer der Chimäre
Des europä’schen Gleichgewichts,
Der Kern zahlloser Kriegsheer
ist hingeopfert, ach! um – Nichts.

Wohlan, dingt neue Legionen!
Einst fragt der Herr des Weltgerichts:
Warum erschlugt ihr Millionen?-
Was könnt ihr ihm erwidern? – Nichts.

Laß blutig rot Kometen flammen!
Verlisch, o Glanz des Sonnenlichts!
Du schöner Weltbau, stürz zusammen!
Auf Trümmern triumphiert das – Nichts. –

Was bin ich selbst? – Ein Kind der Erde,
Der Schatten eines Traumgesichts,
Der halbe Weg von Gott zum Werde,
Ein Engel heut, und morgen – Nichts.

Ich steig auf Felsen, ich erklimme
Gebirg im Strahl des Mondenlichts:
Wo find ich Ruh? – Ach! Eine Stimme
Ruft dumpf: Im Schoß des alten Nichts.


Johannes Daniel Falk
* 28. Oktober 1768 in Danzig; † 14. Februar 1826 in Weimar

Die Verse sind auch heute noch fast aktuell. Mehr über den Dichter steht bei Gutenberg.Spiegel.de und bei Wikipedia.

Mittwoch, 25. Oktober 2006

Elysium

Und ist's mit dieser Welt herum,
und komm' ich ins Elysium,
meiner Ahne Haus muß mit hinein,
sonst mag ich nicht darinnen sein.
Hinter dem Hause muß am Hag
die Sonne lagern den ganzen Tag,
daß golden durch der Blätter Lucken
wie Engelsbacken die Kürbiss' gucken,
daß die Nachbarn wieder herüberschaun,
die Arme aufgestemmt am Zaun,
wie sie am Sonntag aus den Pfeifen
lassen die blauen Wolken schweifen;
lustige Mägde ziehn am Haus
in weißer Schürze den Weg hinaus;
doch draußen schütteln am Gartensaum
wir Buben den frühsten Birnenbaum.

So sei es im Elysium,
sonst scher' ich mich den Teufel drum.


Johann Georg Fischer
* 25. Oktober 1816 in Groß-Süßen, Württemberg; † 4. Mai 1897 in Stuttgart

Mehr über den Dichter lesen Sie bei Gutenberg.Spiegel.de und bei Wikipedia.

Dienstag, 24. Oktober 2006

Die Liebe hat gelogen

Die Liebe hat gelogen,
Die Sorge lastet schwer,
Betrogen, ach, betrogen
Hat alles mich umher!

Es rinnen heiße Tropfen
Die Wange stets herab,
Laß ab, laß ab zu klopfen,
Laß ab, mein Herz, laß ab!


August von Platen
präziser: Karl August Georg Maximilian Graf von Platen-Hallermünde
* 24. Oktober 1796 in Ansbach; † 5. Dezember 1835 in Syrakus, Sizilien

Einer der großen deutschsprachigen Lyriker, heute nur noch weniger bekannt. Lesen Sie dazu bei Wikipedia und Gutenberg.Spiegel.de weitere Details.

Sonntag, 22. Oktober 2006

Abendempfindung

Abend ist's, die Sonne ist verschwunden,
Und der Mond strahlt Silberglanz;
So entfliehn des Lebens schönste Stunden,
Fliehn vorüber wie im Tanz.

Bald entflieht des Lebens bunte Szene,
Und der Vorhang rollt herab;
Aus ist unser Spiel, des Freundes Träne
Fließet schon auf unser Grab.

Bald vielleicht (mir weht, wie Westwind leise,
Eine stille Ahnung zu),
Schließ ich dieses Lebens Pilgerreise,
Fliege in das Land der Ruh.

Werdet ihr dann an meinem Grabe weinen,
Trauernd meine Asche sehn,
Dann, o Freunde, will ich euch erscheinen
Und will himmelauf euch wehn.

Schenk auch du ein Tränchen mir
Und pflückte mir ein Veilchen auf mein Grab,
Und mit deinem seelenvollen Blicke
Sieh dann sanft auf mich herab.

Weih mir eine Träne, und ach! schäm
dich nur nicht, sie mir zu weihn;
Oh, sie wird in meinem Diademe
Dann die schönste Perle sein!


Joachim Heinrich Campe
* 29. Juni 1746 in Deensen, bei Holzminden; † 22. Oktober 1818 in Braunschweig


Lesen Sie mehr über den Dichter bei Wikipedia und Gutenberg.Spiegel.de.

Mittwoch, 18. Oktober 2006

Der höhere Frieden

Wenn sich auf des Krieges Donnerwagen
Menschen waffnen, auf der Zwietracht Ruf,
Menschen, die im Busen Herzen tragen,
Herzen, die der Gott der Liebe schuf:

Denk' ich, können sie doch mir nichts rauben,
Nicht den Frieden, der sich selbst bewährt,
Nicht die Unschuld, nicht an Gott den Glauben,
Der dem Hasse wie dem Schrecken wehrt.

Nicht des Ahorns dunkelm Schatten wehren,
Daß er mich im Weizenfeld erquickt,
Und das Lied der Nachtigall nicht stören,
Die den stillen Busen mir entzückt.


Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist
* 18. Oktober, nach Kleists eigenen Angaben 10. Oktober 1777 in Frankfurt (Oder); † 21. November 1811 in Wannsee bei Berlin

Seine wohl berühmtesten Werke sind "Der zerbrochene Krug", "Das Käthchen von Heilbronn" und die Erzählung "Michael Kohlhaas". In Berlin-Wannsee gibt es heute noch die Kohlhasenbrücke, die an diese Geschichte erinnert. Am Kleinen Wannsee befindet sich auch sein Grab. Lesen Sie mehr dazu bei Wikipedia und bei Gutenberg.Spiegel.de.

Dienstag, 17. Oktober 2006

Die beiden Engel

O kennst du, Herz, die beiden Schwesterengel,
Herabgestiegen aus dem Himmelreich:
Stillsegnend Freundschaft mit dem Lilienstengel,
Entzündend Liebe mit dem Rosenzweig?

Schwarzlockig ist die Liebe, feurig glühend,
Schön wie der Lenz, der hastig sprossen will;
Die Freundschaft blond, in sanften Farben blühend,
Und wie die Sommernacht so mild und still;

Die Lieb' ein brausend Meer, wo im Gewimmel
Vieltausendfältig Wog' an Woge schlägt;
Freundschaft ein tiefer Bergsee, der den Himmel
Klar wiederspiegelnd in den Fluten trägt.

Die Liebe bricht herein wie Wetterblitzen,
Die Freundschaft kommt wie dämmernd Mondenlicht
Die Liebe will erwerben und besitzen,
Die Feundschaft opfert, doch sie fordert nicht.

Doch dreimal selig, dreimal hoch zu preisen
Das Herz, wo Beide freundlich eingekehrt,
Und wo die Glut der Rose nicht dem leisen
Geheimnißvollen Blühn der Lilie wehrt!


Franz Emanuel August Geibel
* 17. Oktober 1815 in Lübeck; † 6. April 1884 in Lübeck

Der Dichter ist uns allen bekannt, mit seinem Lied: "Der Mai ist gekommen …"

Lesen Sie dazu mehr bei Gutenberg.Spiegel.de und bei Wikipedia.

Mittwoch, 11. Oktober 2006

Göttermahl

Wo die Tannen finstre Schatten werfen
Über Hänge goldbesonnt,
Unverwundet von der Firne Schärfen
Blaut der reine Horizont,

Wo das Spiel den rastlos wehnden Winden
Kein Gebälk und keine Mauer wehrt,
Wo, wie einer dunkeln Sorge Schwinden,
Jede Wolke sich verzehrt,

Wo das braune Rind, wie Juno schauend,
Weidet und mit heller Glocke tönt,
Wo das Zicklein, lüstern wiederkauend,
Den bemoosten Felsen krönt,

Schlürf ich kühle Luft und wilde Würzen,
Mit den selgen Göttern kost ich da
- Die mich nicht aus ihrem Himmel stürzen -
Nektar und Ambrosia!


Conrad Ferdinand Meyer
* 11. Oktober 1825 in Zürich; † 28. November 1898 in Kilchberg bei Zürich

mehr zu lesen über den Dichter gibt es bei Gutenberg.Spiegel.de oder bei Wikipedia.
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