Dienstag, 4. Juli 2006

Der Kuckuck

Der Kuckuck sprach mit einem Star,
der aus der Stadt entflohen war.
"Was spricht man", fing er an zu schrein,
"was spricht man in der Stadt von unsern Melodein?
Was spricht man von der Nachtigall?"
"Die ganze Stadt lobt ihre Lieder." -
"Und von der Lerche?" rief er wieder.
"Die halbe Stadt lobt ihrer Stimme Schall."
"Und von der Amsel?" fuhr er fort.
"Auch diese lobt man hier und dort." -
"Ich muß dich doch noch etwas fragen:
Was", rief er, "spricht man denn von mir,"
"Das", sprach der Star, "das weiß ich nicht zu sagen;
denn keine Seele red't von dir." -
"So will ich", fuhr er fort, "mich an dem Undank rächen
und ewig von mir selber sprechen."


Christian Fürchtegott Gellert


Geboren am 4.7.1715 in Hainichen/Erzgebirge; gestorben am 13.12.1769 in Leipzig.

Mehr über den Dichter lesen Sie bei Gutenberg.Spiegel.de oder auch bei Wikipedia.

Mittwoch, 28. Juni 2006

Der Gläubiger

Den Grafen Arnulph bat, als er vom Schlosse ritt,
Ein Gläubiger um Geld; er hatte nichts zu leben.
Hat euch, versetzt der Graf, mein Schaffner nichts gegeben?
Wohl, Ihro Gnaden, einen Tritt.

Gottlieb Konrad Pfeffel
* 28. Juni 1736 in Colmar; † 1. Mai 1809 ebenda

Ein Schriftsteller und Poet, der oft von bissigem Humor geleitet. Lesen Sie mehr bei Gutenberg.Spiegel.de und Wikipedia.

Samstag, 24. Juni 2006

Traum durch die Dämmerung

Weite Wiesen im Dämmergrau;
die Sonne verglomm, die Sterne ziehn,
nun geh' ich hin zu der schönsten Frau,
weit über Wiesen im Dämmergrau,
tief in den Busch von Jasmin.

Durch Dämmergrau in der Liebe Land;
ich gehe nicht schnell, ich eile nicht;
mich zieht ein weiches samtenes Band
durch Dämmergrau in der Liebe Land,
in ein blaues mildes Licht.


Otto Julius Bierbaum
* 28. Juni 1865 in Grünberg (Niederschlesien), † 1. Februar 1910 in Kötzschenbroda (bei Dresden)

mehr über den Dichter gibt es bei Gutenberg.Spiegel.de oder bei Wikipedia zu lesen.

Donnerstag, 22. Juni 2006

An Karoline

Eilet raschen Flugs dahin,
Eilt, ihr trägen Augenblicke,
Daß mein lieberfüllter Sinn
Meine Lina bald erblicke,
Sie, die meinem Herzen, ach! so nah,
Nie mein schwermutsvolles Auge sah!

Daß ich an ihr klopfend Herz
Traulich-brüderlich mich schmiege,
Süß vergessend jeden Schmerz,
Jede Sorg im Schlummer wiege,
Und versenkt in Himmelsschwärmerei
Nur in Lina lebe, webe, sei!

Ha! wenn dann mich hochentzückt
Sie mit sehnendem Verlangen
An den Schwesterbusen drückt!
Wie wird dann auf meinen Wangen
Süß beglückter Liebe Feuer glühn!
Geist und Sinnen werden vor mir fliehn!

Trunken, meiner unbewußt,
Werd ich denken nur sie können;
Doch, durchglüht von reiner Lust,
Wird mein Blick sie Schwester nennen,
Ausdrucksvoll ihr sagen, was, zu schwach,
Sprache nachzubilden nicht vermag!

Schließe Lina, bald den Bund,
Der an Seele Seele kettet,
Der aus diesem Erdenrund
Uns in beß're Spären rettet,
Den von seines Thrones Herrlichkeit
Hoch der Vater sieht und benedeit!

Nie zerreißt ein Liebesband,
Von der Tugend selbst geschlungen.
Siehst du nicht im Sternenland,
Wenn wir endlich ausgerungen
Dieses Pilgerleben, ausgeweint
Jedes Leiden, dort uns fest vereint?

Sie, die sich mit heißer Gier
Nach Unsterblichkeiten sehnet,
Diese Seele, die sich hier
Stets an jene Hoffnung lehnet —
Sieh! der ew'ge Vater gab uns sie,
Und er täuschte seine Kinder nie!



Wilhelm von Humboldt

* 22. Juni 1767 in Potsdam; † 8. April 1835 in Tegel

Diese Begabung von Humboldt ist weniger bekannt. Lesen Sie bei Gutenberg.Spiegel.de und bei Wikipedia mehr über den Autor.

Donnerstag, 8. Juni 2006

Der Liebekranke.

Mir thut's so weh im Herzen!
Ich bin so matt und krank!
Ich schlafe nicht vor Schmerzen,
Mag Speise nicht und Trank;
Seh' Alles sich entfärben,
Was schön war rundumher.
Nichts, Molly, als zu sterben,
Nichts, Liebchen, wünsch' ich mehr.

Zwar könnte noch mich laben
Ein Kelch, der mir behagt;
Allein die Götter haben
Ihn meinem Durst versagt.
Wol fleh' ich, ihn zu stillen,
Vergebens dich und sie;
Denn tränk' ich auch nach Willen,
Ich stillt' ihn doch wol nie.

Drum laß mich vor den Wehen
Der ungestillten Lust
Zerschmelzen und vergehen,
Vergehn an deiner Brust!
Aus deinem süßen Munde
Laß saugen süßen Tod!
Denn, Herzchen, ich gesunde
Sonst nie von meiner Noth.

Gottfried August Bürger

(auch: Jocosus Hilarius)
* 31. Dezember 1747 in Molmerswende im Ostharz; † 8. Juni 1794 in Göttingen

Bekannter als seine Gedichte sind die Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen.

Mehr über den Poeten lesen Sie bei Gutenberg.Spiegel.de und bei Wikipedia.

Samstag, 3. Juni 2006

Heimgang in der Frühe

In der Dämmerung,
Um Glock zwei, Glock dreie,
Trat ich aus der Tür
In die Morgenweihe.

Klanglos liegt der Weg,
Und die Bäume schweigen,
Und das Vogellied
Schläft noch in den Zweigen.

Hör ich hinter mir
Sacht ein Fenster schließen.
Will mein strömend Herz
Übers Ufer fließen?

Sicht mein Sehnen nur
Blond und blaue Farben?
Himmelsrot und Grün
Samt den andern starben.

Ihrer Augen Blau
Küßt die Wölkchenherde,
Und ihr blondes Haar
Deckt die ganze Erde.

Was die Nacht mir gab,
Wird mich lang durchbeben,
Meine Arme weit
Fangen Lust und Leben.

Eine Drossel weckt
Plötzlich aus den Bäumen,
Und der Tag erwacht
Still aus Liebesträumen.


Detlev Freiherr von Liliencron
eigentlich: Friedrich Adolf Axel Freiherr von Liliencron
* 3. Juni 1844 in Kiel; † 22. Juli 1909

Mehr über den Dichter erfahren Sie bei Gutenberg.Spiegel.de oder bei Wikipedia.

Mittwoch, 31. Mai 2006

Himmel oder Frühling?

Habt ihr mich hinausgetragen,
in den Wald, den morgenfrischen,
wo die Nachtigallen schlagen
in den jungen Rosenbüschen?

Mutter, hilf mir aus dem Bette!
Auf den Rasen möcht ich springen
wie das Reh, und um die Wette
möcht ich mit der Lerche singen.

Und von Blumen welch Gewimmel!
Ach, so schön war's nie auf Erden!
Mutter, sag, ist das der Himmel,
oder will es Frühling werden?


Hermann von Gilm,
Ritter zu Rosenegg

Geboren am 1.11.1812 in Innsbruck; gestorben am 31.5.1864 in Linz.


Mehr über den Poet ist in Gutenberg.Spiegel.de zu lesen.

Mittwoch, 24. Mai 2006

Blumentod

Wie sind meine Finger so grün,
Blumen hab' ich zerrissen;
Sie wollten für mich blühn
Und haben sterben müssen.
Sie neigten sich in mein Angesicht
Wie fromme schüchterne Lider,
Ich war in Gedanken, ich achtet's nicht
Und bog sie zu mir nieder,
Zerriß die lieben Glieder
In sorgenlosem Mut.
Da floß ihr grünes Blut
Um meine Finger nieder;
Sie weinten nicht, sie klagten nicht,
Sie starben ohne Laut,
Nur dunkel ward ihr Angesicht,
Wie wenn der Himmel graut.
Sie konnten mir's nicht ersparen,
Sonst hätten sie's wohl getan;
Wohin bin ich gefahren
In trüben Sinnens Wahn?

O töricht Kinderspiel,
O schuldlos Blutvergießen!
Und gleicht's dem Leben viel,
Laßt mich die Augen schließen,
Denn was geschehn ist, ist geschehn,
Und wer kann für die Zukunft stehn?


Annette von Droste-Hülshoff,
mit vollem Namen: Anna Elisabeth Franzisca Adolphine Wilhelmine Ludovica Freiin Droste zu Hülshoff, (* 10. Januar, 12. Januar oder 14. Januar 1797 auf Burg Hülshoff in Havixbeck bei Münster in Westfalen; † 24. Mai 1848 in Meersburg am Bodensee)

Mehr über die Dichterin ist in Gutenberg.Spiegel.de oder bei Wikipedia zu lesen.

Ihr Portrait ist uns allen bekannt

Annette_von_Droste-Huelshoff

zierte es doch viele Jahre den 20-Mark-Schein (Quelle Wikipedia)

Samstag, 20. Mai 2006

Gesellschaftsregeln

Bist du um sieben Uhr geladen,
So geh nicht etwa erst um neun.
Sieh: Pünktlichkeit kann keinem schaden,
Und's erste Stück kann's beste sein!

Gut ist's, der Hausfrau was zu schenken:
Ein Strauß, ein kleiner, freut sie sehr.
Ein großer – mußt du stets bedenken –
Geniert sie leicht und kostet mehr!

Sei mäßig, aber nie dich ziere!
Solch Zögern schafft der Hausfrau Pein.
Beim ersten Gang nimm gleich für viere:
Bedenk, es kann der letzte sein!

Der Weine Reinheit anzufechten
Erlaub dir nicht in fremdem Haus:
Lob alle und zumal die schlechten
Und trink die guten Sorten aus.

Die Damen gut zu unterhalten
Sei dein beständiges Bemühn:
Gelingt dir's nicht mit einer alten,
Ist eine junge vorzuziehn.

Auch Gutes läßt sich übertreiben.
Wenn's auch den Wirt freut, merke ja:
Such niemals allzulang zu bleiben –
Besonders, wenn kein Wein mehr da!

Vergiß das Trinken nicht beim Essen –
Es reut dich andern Tags, mein Sohn,
Hast du das Trinkgeld mal vergessen,
Der Schmerz erträgt sich leichter schon.

Fühlst du vorm Redenhalten Schrecken –
Kling dennoch, rat ich dir, ans Glas:
Im schlimmsten Falle bleibst du stecken –
Das macht oft mehr als Reden Spaß.

Oft tritt ne Stille ein, ne große,
Das sei zu ändern klug bestrebt:
Schnell ein Kompott auf Nachbars Hose –
Du sollst mal sehn, wie das belebt!

Bei Tisch den Hausherrn anzupumpen,
Dies, lieber Sohn, ist niemals »fair«.
Ein feiner Mann läßt sich nicht lumpen,
Ißt ruhig erst und pumpt nachher.

Wärst du auch mitten im Genießen
Und siehst: der Kaffee wird gebracht,
Ist das ein Zeichen, man will schließen –
Dann schnell dich über'n Sekt gemacht!

Beim Sekt begnüge dich zu naschen,
Willst du den Hausherrn recht erfreun.
Du trinkst schon viel, trinkst du zwei Flaschen;
Wer mehr trinkt – nehme Natron ein.

Den Nächsten – auch bei Tafel – lieben,
Ist, wie wir wissen, Christenpflicht.
Die Pflicht kann höchstens übertrieben –
Erlassen werden kann sie nicht.

Ward dir zur Nachbarin ne Tante,
So lausch voll Ehrfurcht, wenn sie spricht.
Wie anders bei nem Leutenante –
Da braucht es der Empfindung nicht.

Damit sie ihre Gunst dir schenken,
Sprich mit den Nachbarinnen viel.
Wer lieber schweigt, der mag bedenken:
Auch Händedrücken bringt ans Ziel.

Ist leer dein Glas, dann ohn Bedenken
Schenk wieder ein dir auf der Stell.
Scheint dir's nicht fein, schnell einzuschenken –
Schenk langsam ein und trinke schnell.

Schwer ist's, bei Tafel gut zu plaudern,
Gut zuzuhören, ist's noch mehr.
Wirf dich aufs letztre ohne Zaudern –
Es fördert auch beim Essen sehr.

Blieb nur ein Rest von einer Speise
Und schmeckte sie dir noch so gut –
So bitt nicht drum törichterweise:
Gleich nehmen – eh's ein andrer tut.

Will sich dein Nachbar mit dir streiten
Bei Tisch – so setz' dich nicht zur Wehr
Verdopple deine Höflichkeit:
's ist christlicher und ärgert mehr.

Kannst du als Redner nicht genügen,
Sprich dennoch, rat ich dir. Probier's!
Kommst du zurecht – hast du's Vergnügen.
Und bleibst du stecken – haben wir's.

Verbindlich zeig beim Präsentieren
Dem Nachbar stets das beste Stück:
Selbst höflich, wird er sich genieren,
Und du bekommst das Stück zurück!

Ein Unfall darf dich nicht erbosen –
Kaltblütigkeit ist Goldes wert.
Hast du den Rotwein umgestoßen:
Gleich Salz darauf! – (Und umgekehrt!)

Reichst du die Sauce, dann vor allen
Acht auf der Damen Kleider sehr.
Sieh: läßt du mal die Schüssel fallen –
Gibt es oft keine Sauce mehr.

Rauchst du, laß nicht an jedem Orte
Der Lust am Rauchen freien Lauf.
Steht wo z. B. eine Torte,
Empfiehlt sich's: du ißt die erst auf.


Georg Bötticher
Geboren am 20.5.1849 in Jena; gestorben am 15.1.1918 in Leipzig.

Mehr über den Dichter gibt es bei Gutenberg.Spiegel.de zu lesen oder auch bei Wikipedia.

Samstag, 6. Mai 2006

Sommermorgen

Leise träumt die Sommernacht;
bei den kühlen Bronnen
hab' ich dich herangewacht,
erster Hauch der Sonnen.

Gestern in der Abendluft,
als sie untergangen,
blieb von ihrem Gold ein Duft
fern im Westen hangen,

Und er schwebte durch die Nacht
über bis zum Norden,
hat den Osten rot gemacht,
daß es Morgen worden.

Perl' an Perle hängt der Tau
um des Grases Blüten,
und man sieht den Dampf der Au
warme Stunden brüten.

Tiefer schon an Turm und Dach
rückt die Helle nieder,
in den Wipfeln allgemach
wachen auf die Lieder.

Sieh - ein Blitz am Himmel hin!
Durch der Blätter Beben
zittert mir um Wang' und Kinn,
Tag, dein Sonnenweben;

Und ich seh' dein Lichtgespinst
alle Welt umfließen,
wie du mir das Herz durchrinnst,
sonniges Ergießen.

Flutend schlägt mir überm Haupt
Duft und Klang zusammen;
was die Seele hofft und glaubt,
alles steht in Flammen.

Und so viel sie trinken mag,
rauscht vom Himmel nieder;
denn des Lebens voller Tag
strömt allmächtig wieder.


Johann Georg Fischer
Geboren am 15.10.1816 in Groß-Süßen/Württemberg, gestorben am 4.5.1897 in Stuttgart.


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