Die Beiden

Sie trug den Becher in der Hand,
- Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand -
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.

So leicht und fest war seine Hand:
Er ritt auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.

Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzuschwer:
Denn beide bebten sie so sehr,
Daß keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.


Hugo von Hofmannsthal wurde am 1. Februar 1874 in Wien geboren.

Er schrieb zahlreiche Librettis, unter anderem für Richard Strauss zur Oper "Der Rosenkavalier". Zugleich war er Mitbegründer der Salzburger Festspiele. Mehr Gedichte und Werke finden Sie bei sbc.edu oder literature.at .
freilich - 3. Feb, 23:13

:-)

Dieses Gedicht mussten wir in der Schule auswendig lernen. Da ich mich jetzt auch schon eine gewisse Zeit mit Lyrik beschäftige, muss/erlaube ich mir zu sagen, dass es insgesamt nicht ein Meisterwerk ist.
ABER: Der inhaltliche Aufbau ist einfach und sehr gut gemacht. Und was das Gedicht unwahrscheinlich aufwertet ist die letzte Verszeile: Und dunkler Wein am Boden rollte. (Klingt irgendwie wie Blut)

immo de - 4. Feb, 10:43

das ist das schöne an Gedichten

es steckt viel zwischen den Zeilen, lässt Freiraum und Interpretation für den Dichter und den Leser
freilich - 4. Feb, 10:51

wobei

der Dichter (soferne noch lebend) mit der Interpretation anderer meistens nicht zufrieden ist, sich gar unverstanden fühlt ;o)
Anders gesehen: Obwohl ich Literatur studiert habe, ist es mir gerade in der Lyrik wichtig, dass ein "Gefühl beim Lesen" vermittelt wird. Damit meine ich, dass nicht das Verstehen oder die Analyse im Vordergrund stehen sollen, sondern die Gemütslage des Lesenden nach dem Lesen. Das emfinde ich auch als hohes Qualitätskriterium.
Ich weiß, das ist eine Auffassung aus der Zeit der Romantik, aber wieso nicht (sollen sich die Lit.wiss. doch die Haare raufen)
immo de - 4. Feb, 11:33

das ist gut

ich bin einfach "Verbraucher". Das bedeutet, ein Werk, ob Gedicht, Prosa oder auch Bilder, gefällt mir oder nicht. Das ist meine freie Entscheidung. Damit muss der Schöpfer leben.

Dabei stelle ich natürlich nicht den Anspruch, ob es wissenschaftlich oder in der professionellen Kritikerwelt Anerkennung findet. Ist mir wurscht. Meine Meinung zählt für mich, eben weil es auf mich wirkt.

Aber schön, von Dir zu wissen, dass Du Literatur studiertest. Ich bin nur "Laie", wollte sicher auch mehr darüber wissen. Vielleicht ist das aber auch gut so, dass eben Laien nur verbrauchen, wie sie es verstehen und wirken lassen.
freilich - 6. Feb, 13:35

Man darf nicht vergessen

dass der Laie nicht gleichzeitig ein Banause sein muss, ganz im Gegenteil. Vermag er vielleicht nicht, das Werk durch die "Kunst der Interpretation" zu definieren (wobei Definition ein blödes Wort ist), so ist er durchaus imstande, die Qualität, die einem Werk innewohnt, zu erfassen.
Ein Werk zeichnet sich meines Erachtens dadurch aus, dass es ihm gelingt, sich spürbar zu machen. Und das tut es beispielsweise gerade durch eine besonders gelungene Art und Weise, mit der der Schöpfer das Wort gewählt hat, oder mit seiner Kunst, wie er eine Geschichte zu erzählen versteht.
Während der Literaturwissenschafter rezipiert und interpretiert und die Werke auf Verweise untereinander absucht, das Werk nach den Vorgaben untersucht, die es an sich selbsst richtet, innerhalb eines größtmöglichen Spektrums an Verschiedenheit, nimmt sich der Laie das was gefällt und darf sich herausnehmen, Kunstwerke abzulehnen, nur weil sie eben nicht gefallen.
Das ist jetzt ein Referat geworden, na ja ;o)
immo de - 6. Feb, 13:58

vielleicht bin ich leicht "verdorben"

eben, weil ich selbst Verse schmiede. Und so fallen mir eben auch oft Worte oder auch die besonderen Reim"verrenkungen" auf. Auch mir geht es so, wenn ich reime. Oft will und will es nicht reimen. Absitzen lassen. Plötzlich kommt der große Wurf. Und dann merke ich auch manchmal, wenn ich mein Meisterwerk meiner Frau zur "Prüfung" vorlege, sie verstand es nicht. Das bedeutet auch, der "Dichter" schwebt in einer anderen Region. Er weiß, was er ausdrücken möchte, sieht es auch ganz klar. Und ist sogar noch stolz (bin ich nicht auf alle meine Gedichte).

Doch zum Beispiel unter Rubrik "traurig" sind zwei Gedichte von mir, die mir heute noch "nahe" gehen. Natürlich muss die emotionale Verbindung mit den Empfängern bzw. Betroffenen gesehen werden. Obwohl traurige Anlässe, bin ich dennoch mit meinem "Werk" hier zufrieden. Ich konnte das sagen, was mir in Prosa niemals möglich gewesen wäre.

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